HofheimGRÜN 16/2011

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Entwicklung in der Berliner Landespolitik in der vergangenen Woche war für mich ein Déjà-Vu. Dort waren es drei Kilometer Autobahn für 420 Millionen Euro, bei uns war es die Zerstörung der Vorderheide, die wir GRÜNE nicht mittragen wollten und konnten, wenn wir glaubwürdig für einen Paradigmenwechsel im Umgang mit der Natur und mit endlichen Ressourcen eintreten wollen. Die Zerstörung der Vorderheide – ein Gemeinschaftsprojekt der ganz großen Koalition aus SPD, CDU, FWG, FDP und BfH – ist jetzt leider beschlossene Sache. Einzig der Weg vor Gericht kann dies jetzt noch stoppen. Gut, dass der BUND in Zusammenarbeit mit dem Verein „Lebenswertes Hofheim“ diesen Weg jetzt beschreitet und wir werden alles uns Mögliche tun, die Klagenden zu unterstützen.
Gerade aber auch der Fall Berlin hat wieder etwas deutlich gemacht, was manch einem rot-GRÜNEN Wechselwähler oder -Wählerin in den letzten Jahren vielleicht nicht mehr so präsent war: Uns GRÜNE unterscheidet von allen anderen Parteien, von CDU, FDP aber auch von großen Teilen der SPD ein grundsätzlich anderes Verständnis dessen, was Fortschritt ist und welche Zukunftsentwicklung einerseits zu erwarten und andererseits erstrebenswert ist. Wer so unverbrüchlich wie in der 70ern des 20. Jahrhunderts an der Vorstellung von Wachstum durch Ausweitung von Infrastruktur und einem Mehr an Produktion, Konsum und Verkehr glaubt, für den sind wir mit unseren Positionen natürlich ein unverständliches Ärgernis; den schönen neuen Tiefbahnhof in Stuttgart wollen wir aus dieser Sicht törichten oder gar böswilligen GRÜNEN ebensowenig wie die doch so lange ersehnte B519 neu und das herrliche neue Wohngebiet zu Füßen des Kapellenbergs.
Was aber, wenn unsere Skepsis gegenüber diesem in Beton gegossenen Fortschritt berechtigt ist? Wenn dieses „weiter so und immer mehr“ sich nicht nur als zerstörerisch erweist, sondern auch als wirtschaftlich nicht mehr tragfähig? Wenn das in Großprojekte versenkte Geld fehlt, unsere Infrastruktur für die Zeit nach dem (bis heute immer noch) billigen Öl vorzubereiten? Wenn z.B., ganz konkret, die Nachfrage nach Grundstücken an der Vorderheide nicht den vollmundigen Behauptungen der Befürworter entspricht und dann der ökologischen Entwertung die städtebauliche Ernüchterung folgt? Wenn weitere Straßen oder auch hochsubventionierte Flughäfen wie Kassel-Calden in 20 Jahren nicht der Garant wirtschaftlichen Wohlergehens, sondern durch ihr aufgrund von Rohstoffverteuerung und -Verknappung dann vielleicht unnützes Dasein eine Last für die dann in der Verantwortung stehenden Menschen sind?
Dann hätte sich unsere Vorsicht, unser Bremsen als die eigentlich vernünftige Haltung herausgestellt. Vieles spricht dafür, dass sich diese Szenarien eher bewahrheiten als die Vorstellung bruchlosen, weiteren Wachstums nach der alten Logik.
Wir brauchen nicht nur eine Energiewende – da ziehen wir zumindest auf kommunaler Ebene auch mit der SPD an einem Strang – sondern auch eine Verkehrswende und ein Paradigmenwechsel im Umgang mit endlichen Ressourcen, wozu auch und gerade der Boden im dicht besiedelten Ballungsraum  gehört.
Grundsätzliche Veränderungen verlangt auch die weltweite Finanzkrise, die ja nicht zuletzt eine Krise des deregulierten Kapitalismus ist. Um nicht weniger als die Zurückgewinnung demokratisch-politischer Handlungsmöglichkeiten geht auch am kommenden Samstag bei einem weltweiten Aktionstag. Dessen Vorgeschichte begann dort, wo man es vielleicht am wenigsten erwarten konnte: Seit einigen Wochen nimmt ja in den USA eine linke, demokratische Bewegung Gestalt an, die mit der symbolischen Besetzung öffentlicher Plätze diese Forderungen nach echter Demokratie und Einhegung der Marktkräfte unterstreicht. „Occupy Wall Street“ war der Anfang.
Nun erreicht diese Bewegung Frankfurt. Die FNP schreibt dazu heute:  „Europa – eine griechische Tragödie“ heißt das Theaterstück, mit dem die Globalisierungsgegner von Attac am Samstag um 12 Uhr ihre Demo beginnen wollen. Das Schauspiel am Brockhausbrunnen auf der Zeil, nahe der Hauptwache, soll von der Griechenland-Krise handeln, aber auch die Rolle der Europäischen Zentralbank thematisieren. Denn gegen diese richtet sich die Attac-Demo, die um 13 Uhr in einen Marsch zum Willy-Brandt-Platz und um 14 Uhr in eine Abschlusskundgebung ebendort münden soll.“
Den ganzen Artikel unter: http://www.fnp.de/hk/region/lokales/main-taunus/demo-gegen-macht-der-banken_rmn01.c.9278425.de.html . Wer irgend kann, sollte dabei sein und ein Zeichen setzen dafür, dass die Dauerkrise endlich bei der Wurzel gepackt wird. Aber wie?
Dazu schreibt unser Bundestagsabgeordneter Wolfgang Strengmann-Kuhn mit seinem Wissen und seiner Erfahrung als Wirtschaftswissenschaftler: „Banken sind immer noch „too big to fail“ und müssen schon wieder gerettet werden. Wir müssen endlich an die Ursachen der Krise ran: Die Banken müssen verkleinert werden, das Eigenkapital der Banken muss erhöht werden und mit der Größe ansteigen, notfalls durch Zwangsrekapitalisierung, Steuer- und Regulierungsoasen müssen ausgetrocknet werden, Finanzmarktprodukte müssen reguliert und zum Teil verboten werden, die Finanztransaktionssteuer muss eingeführt werden und wir müssen eine Vermögensabgabe einführen, um damit die Kosten der Krise zu finanzieren.“
Um einen Konflikt zwischen den Interessen vieler und dem Profit weniger ging es implizit auch bei einer Gerichtsentscheidung am gestrigen Tag. Und in diesem Fall haben erfreulicherweise die Interessen der Vielen – vorläufig – gesiegt: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat vom 30. Oktober an ein absolutes Nachtflugverbot von 23.00 bis 5.00 Uhr am Frankfurter Flughafen verhängt, zumindest bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Hauptsache. Die Nacht ist zwar kurz, aber immerhin! Dabei hatten die Herrschaften von schwarz-gelber Landesregierung und Fraport eigentlich anderes im Sinn gehabt. Den Widerstand gegen die Flughafenerweiterung mit der Verheißung eines Nachtflugverbots auszuhebeln, dieses Versprechen aber dann kaltlächelnd zu kassieren, war deren Plan. Dem hat nun der Verwaltungsgerichtshof einen einstweiligen Riegel vorgeschoben. Hoffen wir, dass dies auch im Hauptverfahren Bestand hat!
Am 21. Oktober, dem Tag der Inbetriebnahme der neuen Landebahn, wird es übrigens eine Kundgebung unter dem Motto „Happy Landing? – Dirty Landing!“ geben. Und zwar von 13.00 bis 17.00 Uhr auf dem ehemaligen Hertie-Gelände in Flörsheim (Weilbacher Straße). Auch wir werden dort präsent sein!

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